Wenn der Darm mitreist: Wie globale Mobilität unsere Mikrobiota verändert

Reisen ist ein Privileg – es bildet, inspiriert und verbindet. Doch während wir neue Kulturen entdecken, gerät eine andere Welt ins Wanken: die unseres Mikrobioms. Das komplexe Ökosystem im Darm reagiert hochsensibel auf Veränderungen in Ernährung, Umgebung, Zeitzone und Stresslevel – mit Folgen für Verdauung, Immunabwehr und sogar unser psychisches Wohlbefinden.

Der Darm als Spiegel unserer Umgebung

Die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota ist kein statisches Konstrukt. Vielmehr unterliegt sie ständiger Modulation durch äußere Einflüsse – ein Umstand, der sich auf Reisen besonders deutlich zeigt. Ernährung, Hygienestandards, Wasserqualität, aber auch Schlafmuster und körperlicher Rhythmus verändern sich abrupt – eine Herausforderung für die mikrobiellen Gemeinschaften, die sich nur schwer an diese Schnelllebigkeit adaptieren können (Zmora et al., 2019).

Jetlag betrifft nicht nur das Gehirn – sondern auch den Darm

Der sogenannte „Gut Lag“ bezeichnet die Störung des zirkadianen Rhythmus des Darms, die infolge von Zeitverschiebungen auftritt. Studien zeigen, dass Mikrobiota bestimmten Tag-Nacht-Zyklen folgen und metabolische Funktionen – etwa die Energiegewinnung oder die Produktion kurzkettiger Fettsäuren – rhythmisch ablaufen (Thaiss et al., 2014). Wird dieser Rhythmus durch Jetlag gestört, kann dies das Risiko für gastrointestinale Beschwerden, metabolische Dysregulation und sogar depressive Verstimmungen erhöhen (Voigt et al., 2016).

Exposition gegenüber neuen Mikroben – Freund oder Feind?

Reisen führt unweigerlich zur Konfrontation mit fremden Bakterienstämmen, was eine temporäre Destabilisierung der Mikrobiota begünstigen kann. Dies ist nicht per se negativ – im Gegenteil: kontrollierte mikrobielle Diversität kann langfristig sogar die Resilienz des Mikrobioms stärken (Sonnenburg & Sonnenburg, 2019). Kritisch wird es jedoch bei unzureichender Hygiene oder dem Konsum kontaminierter Lebensmittel. Reisedurchfall (Travellers' Diarrhea, TD) betrifft je nach Reiseziel bis zu 70 % der Reisenden. Pathogene wie Escherichia coli oder Salmonella können nicht nur akute Infektionen auslösen, sondern auch die mikrobielle Homöostase nachhaltig stören (Pitzurra et al., 2019).

Antibiotika: Doppelschneidiges Schwert

Zur symptomatischen Behandlung von TD werden häufig Breitbandantibiotika eingesetzt – eine Maßnahme, die zwar kurzfristig Linderung verschaffen kann, jedoch mit dem Risiko massiver mikrobieller Dysbalancen einhergeht. Zudem erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Kolonisation mit multiresistenten Keimen, wie eine prospektive Studie an Reisenden in Südostasien belegt (Kantele et al., 2015).

Handlungsempfehlungen für eine stabile Darmgesundheit auf Reisen

1. Probiotika gezielt einsetzen

Die präventive Einnahme probiotischer Stämme wie Lactobacillus rhamnosus GG oder Saccharomyces boulardii kann das Risiko für TD signifikant reduzieren. Eine Metaanalyse von 2019 belegt die Effektivität dieser Mikroorganismen zur Vorbeugung von Reisedurchfall bei bis zu 85 % der Probanden (McFarland, 2010).

2. Hygienische Maßnahmen strikt einhalten

  • Nur abgefülltes oder abgekochtes Wasser trinken

  • Keine rohen Lebensmittel oder ungeschälten Früchte konsumieren

  • Regelmäßige Handdesinfektion (v. a. vor Mahlzeiten)

3. Anpassung an lokale Ess- und Schlafzeiten

Ein rasches Angleichen an den zirkadianen Rhythmus des Zielortes – etwa durch Mahlzeiten im lokalen Takt – kann die Synchronisation der Mikrobiota fördern und damit gastrointestinale Beschwerden reduzieren (Voigt et al., 2016).

4. Ballaststoffzufuhr sichern

Auch unterwegs sollten präbiotische Ballaststoffe (z. B. aus Hafer, Bananen, Chicorée oder Flohsamen) nicht fehlen, um nützliche Bakterienstämme zu ernähren und zu stabilisieren.

Fazit

Mobilität ist Teil unseres modernen Lebensstils – und unser Darm reist mit. Umso wichtiger ist es, sich seiner Verantwortung bewusst zu sein: für unsere eigene Gesundheit und die mikrobiellen Begleiter, die uns Tag für Tag schützen. Wer sich informiert, vorbereitet und achtsam reist, kann nicht nur die Welt entdecken – sondern auch das Gleichgewicht im Inneren bewahren.

    • Thaiss, C. A., Zeevi, D., Levy, M., et al. (2014). Transkingdom control of microbiota diurnal oscillations promotes metabolic homeostasis. Cell. https://doi.org/10.1016/j.cell.2014.07.038

    • Sonnenburg, E. D., & Sonnenburg, J. L. (2019). The ancestral and industrialized gut microbiota and implications for human health. Nature Reviews Microbiology. https://doi.org/10.1038/s41579-019-0171-1

    • McFarland, L. V. (2010). Systematic review and meta-analysis of Saccharomyces boulardii in adult patients.World Journal of Gastroenterology. https://doi.org/10.3748/wjg.v16.i18.2202

    • Kantele, A., Lääveri, T., Mero, S., et al. (2015). Antibiotic use and travelers’ risk for colonization with multidrug-resistant enterobacteria. Emerging Infectious Diseases. https://doi.org/10.3201/eid2106.141619

    • Voigt, R. M., Forsyth, C. B., Green, S. J., et al. (2016). Circadian disorganization alters intestinal microbiota.PLoS ONE. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0126826

    • Zmora, N., Suez, J., & Elinav, E. (2019). You are what you eat: diet, health and the gut microbiota. Nature Reviews Gastroenterology & Hepatology. https://doi.org/10.1038/s41575-018-0061-2

    • Pitzurra, R., Steffen, R., Tschopp, A., Mutsch, M. (2019). Diarrhoea in a large prospective cohort of European travellers to resource-limited destinations: incidence, determinants and prevention. BMC Infectious Diseases. https://doi.org/10.1186/s12879-019-4061-y

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