Nahrungsergänzungsmittel – Warum nicht alles ankommt, was versprochen wird
Zwischen Hype und Realität: Was Supplements wirklich leisten können
Nahrungsergänzungsmittel gelten vielen als einfache Lösung für mehr Energie, bessere Gesundheit und sogar ein längeres Leben. Der Markt boomt – doch die wissenschaftliche Realität ist differenzierter. Denn selbst die hochwertigsten Präparate entfalten nur dann ihre Wirkung, wenn bestimmte physiologische Voraussetzungen erfüllt sind. Andernfalls bleiben sie weitgehend wirkungslos.
Bioverfügbarkeit ist nicht gleich Aufnahme
Der Begriff "Bioverfügbarkeit" beschreibt, wie gut ein Wirkstoff vom Körper aufgenommen und zur Zielstruktur transportiert wird. Viele Präparate zeigen zwar eine hohe Konzentration im Blut, doch das bedeutet nicht, dass sie auch in der Zelle ankommen. Dafür müssen mehrere komplexe Schritte funktionieren:
Intakte Verdauung: Magen- und Gallensäuren, Enzyme und Darmflora müssen funktional sein, um Wirkstoffe aufzuschließen.
Unversehrte Darmbarriere: Bei erhöhter Permeabilität (z. B. Leaky Gut) gelangen viele Stoffe nicht effizient in den Blutkreislauf.
Effizienter Zelltransport: Zellmembranen und Transportproteine entscheiden darüber, ob ein Mikronährstoff tatsächlich in die Zelle gelangt.
Zellgesundheit als Schlüssel
Chronischer Stress, Umweltgifte, Entzündungen oder Mitochondrienstörungen beeinträchtigen genau diese Mechanismen. Studien zeigen: Bei gestörter Zellstruktur oder oxidativem Stress werden viele Vitalstoffe nicht korrekt verwertet – selbst dann nicht, wenn sie intravenös verabreicht werden.
Beispiel: Eine Vitamin-C-Infusion kann den Plasmaspiegel kurzfristig erhöhen, aber ohne ausreichende Transporterproteine oder funktionierende Mitochondrien bleibt der intrazelluläre Effekt gering.
Der Einfluss des Darmmikrobioms
Das Darmmikrobiom spielt eine zentrale Rolle bei der Umwandlung, Aktivierung und Aufnahme vieler Vitalstoffe. Ist die Mikrobiota gestört – z. B. durch Antibiotika, Stress oder unausgewogene Ernährung – kann die Resorption massiv eingeschränkt sein. Bestimmte B-Vitamine, Vitamin K oder sekundäre Pflanzenstoffe sind besonders abhängig von der Darmflora.
Die Rolle von Phospholipiden und Zellmembranen
Eine gesunde Zellmembran – reich an Phospholipiden wie Phosphatidylcholin – ist essenziell, damit Wirkstoffe überhaupt in die Zelle gelangen können. Lipidverarmte oder oxidative geschädigte Zellwände behindern diesen Austausch.
Fazit: Nicht das Produkt entscheidet, sondern der Kontext
Nahrungsergänzung kann eine sinnvolle Unterstützung sein – aber nur eingebettet in ein funktionierendes biologisches System. Vor der Supplementierung sollten daher folgende Fragen geklärt sein:
Wie ist die Funktion von Darm, Leber und Mitochondrien?
Gibt es Hinweise auf oxidativen oder nitrosativen Stress?
Liegen labordiagnostisch nachgewiesene Mängel vor?
Empfehlung
Verzichte auf blinde Supplementierung. Lass deine Werte professionell prüfen und arbeite mit Therapeut:innen oder Ernährungsberater:innen, um gezielt und nachhaltig zu handeln – statt dem nächsten Werbeversprechen zu folgen.
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